Rechtsanspruch auf gebührenfreie Kinderbetreuung
v.l.n.r.: Andrea Wagner (Frau&Arbeit), NR-Abg. Bgm. Andreas Kollross (GVV Bundesvorsitzender), Bgm. Hansjörg Obinger (GVV Landesvorsitzender) und nicht im Bild: BR Vbgm. David Egger (Quarantäne).
Wer aktuell in Österreich auf einen Kinderbetreuungsplatz angewiesen wäre, hat darauf keinen Rechtsanspruch. Geht es nach den Sozialdemokrat:innen, dann soll sich das schleunigst ändern.
Neue Fahrt aufgenommen hat die Debatte, als im Zuge der türkisen Chat-Affäre bekanntgeworden ist, dass die Umsetzung des Rechtsanspruches bereits unter der Bundesregierung Kern geplant, aber vom damaligen Außenminister Sebastian Kurz aus Machtkalkül erfolgreich hintertrieben worden ist („Wie kannst du das aufhalten?“ „Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“). Der sozialdemokratische Gemeindevertreter:innenverband (GVV) hat jetzt ein Positionspapier erarbeitet, wie der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bundesweit in fünf Schritten umgesetzt werden kann. SPÖ-Landesparteichef Chef David Egger unterstützt die Forderung und spricht sich mit Blick auf das Bundesland Salzburg für eine gebührenfreie öffentliche Kinderbetreuung aller Kinder bis 6 Jahren aus, wie das in den sozialdemokratisch geprägten Bundesländern Wien und Burgenland bereits der Fall ist. Egger wie auch der Bundesvorsitzende des GVV Abg. z. NR Bgm Andreas Kollross und der GVV-Landesvorsitzende Bgm Hansjörg Obinger sind sich einig: Investitionen in die Kinderbetreuung sind ein Konjunkturpaket für Familien, gerade in Zeiten hoher Inflation.
Kostenlose Kinderbetreuung: Land Salzburg in der Pflicht
Angesichts der enormen Teuerungen sieht der Salzburger SPÖ-Chef David Egger gerade jetzt den richtigen Zeitpunkt, Familien finanziell zu entlasten: „Das Land muss dort für Entlastungen sorgen,
wo es Handlungsmöglichkeiten hat. Auch wenn der kostenlose Zugang zur Kleinkinderbildung der ÖVP ideologisch nicht ins Konzept passt, ist die Streichung der Elternbeiträge für alle öffentlichen Kindergärten und Kleinkindgruppen die treffsicherste Maßnahme, um Familien nachhaltig und signifikant zu entlasten.“
Die Binsenweisheit, wonach nur das, was etwas kostet, etwas wert sei, bezeichnet Egger als fatalen Irrtum. In Wahrheit müssen genau jene Dinge, die einen besonderen Wert für die gesamte
Gesellschaft haben, öffentlich finanziert werden. Das gilt für die Gesundheit, das gilt für die Schulbildung und das muss auch für die Bildung der Kleinsten in unserem Land gelten“, ergänzt Egger
und warnt davor, dass die aktuelle Inflation jungen Menschen noch mehr Anreize gebe, für ihre Familienplanung das Bundesland zu verlassen: „Man muss es so deutlich sagen: Salzburg und
Familiengründung sind zwei Sachen, die sich beide zusammen finanziell immer weniger ausgehen.“
Neben der finanziellen Entlastung der Familien betont Egger die Notwendigkeit, das Angebot an Kinderbetreuungsplätzen flächendeckend– gerade auch im ländlichen Raum – auszudehnen und
einen Rechtsanspruch zu einen Kinderbetreuungsplatz zu verankern: „Die ÖVP spricht im Zusammenhang mit Kinderbetreuung immer von Wahlfreiheit. Wahlfreiheit gibt es aber nur dann, wenn
Angebotsvielfalt herrscht. Bildung ist auch für die Kleinsten in unserer Gesellschaft ein Menschenrecht. Darum bin ich froh, dass der GVV jetzt einen 5-Stufen-Plan zum Rechtsanspruch vorgelegt hat. Dieser Vorschlag ist realistisch, machbar, und wäre auch für die Gemeinden umsetzbar.“
Sozialdemokratische Gemeindevertreter:innen fordern schrittweise Umsetzung eines Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung in fünf Schritten
„Viel zu lange schon wird über den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung diskutiert. Es ist Zeit, diesen endlich umzusetzen. Als sozialdemokratische Kommunalpolitiker:innen haben wir deshalb einen
Stufenplan ausgearbeitet, wie der Rechtsanspruch umgesetzt werden kann. Es liegt an der Bundesregierung, den Rechtsanspruch in die Tat umzusetzen. Die Umsetzung hängt ausschließlich vom
politischen Willen und der Einsicht ab, dass Krabbelgruppen und Kindergärten die ersten Bildungseinrichtungen sind und unsere Kinder ein Recht auf Bildung haben. Im 21. Jahrhundert ist es
traurig, darüber überhaupt diskutieren zu müssen“, findet auch der Bundesvorsitzende des GVV und Bürgermeister der niederösterreichischen Gemeinde Trumau Abg. z. NR Andreas Kollross
deutliche Worte und präsentiert die fünf Schritte des Positionspapieres.
- Schritt: Evaluierung der fehlenden Kindergartenplätze.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, bis Sommer 2022 zu evaluieren, wie viele Kindergartenplätze derzeit in Österreich in jeder der 2.095 Kommunen fehlen.
- Schritt: Budgetäre Mittel für den Ausbau der Einrichtungen sicherstellen
Für die Budgetjahre 2023 und 2024 soll die Bundesregierung die finanziellen Mittel in Höhe von mindestens je 1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen, damit die Einrichtungen für fehlende Kinderbetreuungsplätze in den Städten und Gemeinden gebaut werden können.
Der Bischofshofener Bürgermeister und Landesvorsitzende des GVV Salzburg Hansjörg Obinger ergänzt in diesem Zusammenhang, dass ein derartiges Investitionspaket auch wirtschaftlich gesehen einen enormen positiven Nebeneffekt bringen würde: „Eine Kinderbetreuungsoffensive würde auch das regionale Bau- und Baunebengewerbe ankurbeln.“
- Schritt: Ausbildungsoffensive im Bereich der Elementarpädagogik ab September 2022
Die Corona-Pandemie hat sichtbar gemacht, wie schwierig der Arbeitsalltag für Elementarpädagog:innen ist. Wie im Pflegebereich sind viele Personen auch in dieser Branche ausgebrannt und wechseln mitunter sogar den Job. Das führt dazu, dass es immer wieder zu einem Mangel an Elementarpädagog:innen in kommt. Auf zu viele Kinder kommen somit zu wenige Elementarpädagog:innen. Aufgrund der schwierigen Arbeitsbedingungen treten viele ausgebildete Elementarpädagog:innen ihren Job auch gar nicht erst an. „Uns ist klar, dass der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung mit der Ausbildung zusätzlicher Elementarpädagog:innen einhergehen muss. Deswegen sieht unser Vorschlag eine Ausbildungsoffensive ab September 2022 vor“, so Kollross.
Derzeit gibt es in Österreich rund 42.000 Elementarpädagog:innen. Laut einer Umfrage des ÖGB herrscht bereits jetzt einen Mangel. Auch im Bundesland Salzburg herrscht ein großer Mangel an Pädagog:innen. Die beiden SPÖ-Politiker Bernhard Auinger (ressortzuständiger Bürgermeister-Stv. in der Stadt Salzburg) und der AK-Präsident Peter Eder machten auf diesen Missstand in der Vergangenheit schon mehrfach aufmerksam.
- Schritt: Gemeindekooperationen forcieren
In vielen dünn besiedelten und strukturschwachen Gemeinden wird bereits jetzt in Gemeindekooperationen gearbeitet. Diese Kooperationen sollen beibehalten und ausgebaut werden. Unter Rücksichtnahme auf den Rechtsanspruch muss es auch möglich sein, Kinder in benachbarten Kommunen unterzubringen, wenn dies logistisch erforderlich ist.
„In Bischofshofen tun wir seit Jahren so, als ob der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung längst geltendes Recht wäre und erweitern unser Angebot an Kinderbetreuungsplätzen kontinuierlich. Das hat zwei Gründe. Erstens ist es mir ein persönliches Anliegen. Die Kindergärten und Krabbelgruppen sind keine Aufbewahrungsanstalten, sondern Bildungsanstalten für Kinder und Kleinkinder. Darüber hinaus ist die Nachfrage nach weiteren Kinderbetreuungsplätzen ungebrochen, obwohl wir das Angebot permanent ausbauen“, so Obinger, der als GVV-Landesvorsitzender auch die Situation in den anderen und insbesondere den kleineren Gemeinden kennt: „Überall ist das nicht möglich. Darum ist es notwendig, gerade in dünn besiedelten Gemeinden Kinderbetreuung gemeindeübergreifend zu organisieren und derartige Kooperationen zu fördern.“
Andrea Wagner von Frau & Arbeit berichtet aus der Praxis: "In den vergangenen Jahren wurde zwar viel in Kinderbetreuungsplätze investiert, jedoch fehlen immer noch Plätze und zeitlichen Ressourcen. Dies ist ein großer Hindernisgrund für den Wiedereinstieg ins Berufsleben. Das betrifft in den allermeisten Fällen Frauen. Deshalb sind fehlende Kinderbetreuungsplätze ein struktureller Mitgrund für die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt."
- Schritt: Jährlich mind. 1,7 Milliarden für Kinderbetreuung im Bundesbudget verankern
Ab 2025 soll die Regierung jährlich fix verankert die budgetären Mittel zur Verfügung stellen, damit der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung in den Städten und Gemeinden umgesetzt werden kann. „Hier schließen wir uns als sozialdemokratische Gemeindevertreter:innen einer Forderung der Industriellenvereinigung an, finanziellen Mittel für die Kinderbetreuung um 1,7 Milliarden pro Jahr aufzustocken“, so Kolross. Der IV-Präsident Georg Nill unterstrich auch die volkswirtschaftliche Sinnhaftigkeit einer solchen jährlichen Investition uns sagte wörtlich: „Jeder in die Qualität früher Bildung investierte Euro kommt volkswirtschaftlich gesehen mindestens achtfach zurück. Anders betrachtet: Jeder nicht investierte Euro kostet uns mindestens acht Euro in der Zukunft. “
Die geforderte Summe von 1,7 Milliarden deckt sich mit der Berechnung in einer aktuellen Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung, wonach der der Ausbau der Kinderbetreuung nach den VIF-Kriterien rund 1,6 Milliarden kosten würde.
Wichtig dabei ist, dass diese Summe nicht als bloße Anschubfinanzierung betrachtet werden kann, sondern fixer budgetärer Bestandteil des Bundesbudgets bleiben muss, der jährlich valorisiert den Städten und Gemeinden für den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bereitgestellt wird.